Der Podcast heißt „Club der Cleveren“. Würdest du dich selbst als clever bezeichnen – und warum?
Rainer Reichl: Das ist eine spannende Frage, über die ich so noch nie nachgedacht habe. Ich glaube, ein gewisses Maß an Cleverness ergibt sich vor allem daraus, dass man interessiert bleibt und sich ständig weiterbildet – auch über das Berufliche hinaus. Mir gefällt dazu das Zitat von Steve Jobs: „Stay hungry and foolish.“ Natürlich sind bestimmte Dinge auch genetisch vorgegeben, aber am Ende zählt, wie neugierig und offen man bleibt. Ich glaube, ich habe es ganz gut geschafft, diese Einstellung durchzuziehen.
Du betonst immer wieder die Kraft der Vision. Was war deine ursprüngliche Vision, als du ins Agenturgeschäft eingestiegen bist?
Es gab in meinem Leben mehrere prägende Meilensteine. Einer war der frühe Tod meines Vaters. Daher musste ich schon mit 15 Verantwortung übernehmen – das hat mich gelehrt, wie wichtig Gestaltungskraft und Psychologie sind. Später habe ich mit Freunden anlässlich 20 Jahre Berliner Mauer eine Nachbildung der Mauer mitten auf die Linzer Landstraße – vom Ursulinenhof quer über die Straßenbahnschienen – gebaut, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir keine Mauern bauen sollten – und bin dafür sogar verhaftet worden. Dieses Erlebnis hat aber mein Interesse für Kommunikation geweckt. Letztendlich wollte ich immer etwas bewegen, Menschen erreichen und mitreißen.
Dein Lebensweg zeigt viel Mut. Ist mutige Werbung heute überhaupt noch möglich?
Werbung muss und darf wieder mutiger werden! Heute sehe ich leider viel langweilige und angepasste Werbung, auch von uns als Agentur, aber auch generell im deutschsprachigen Raum. Die Entscheider trauen sich oft nichts mehr zu, es mangelt häufig an eigenständigen Ideen. Mutige Werbung braucht vor allem ein erkennbares Konzept und den Willen, herauszustechen – das fehlt aktuell zu sehr. Digitale Trends haben vieles nivelliert, aber jetzt könnten wir gerade mit neuen Technologien wieder frischen Wind hineinbringen. Trotzdem: Es gibt natürlich auch ethische und rechtliche Grenzen, die man nicht überschreiten sollte.
Kann Künstliche Intelligenz hier helfen?
KI ist ein sehr gutes Werkzeug, das uns ermöglicht, Ideen umzusetzen und visuell darzustellen. Aber: Die Gefahr ist groß, dass wir damit nur Durchschnitt produzieren. Wirklich herausragende, außergewöhnliche Kreation braucht weiterhin Menschenverstand und Emotionen. KI kann Routineaufgaben übernehmen und uns in der Umsetzung unterstützen, aber der Funke der Idee und das besondere Gespür kommen immer noch vom Menschen. Wir müssen also beides klug kombinieren, um echte Exzellenz zu erreichen.
Welchen Einfluss könnten künftige Technologien wie Quantencomputer auf die Kommunikation haben?
Quantencomputer werden die Spielregeln komplett ändern. Sie arbeiten nicht sequenziell, sondern quasi in Echtzeit und ermöglichen völlig neue Dimensionen bei der Datenverarbeitung. Das birgt riesige Chancen – aber auch Risiken, gerade, was Sicherheit betrifft. In der Kommunikation wird es viele neue Möglichkeiten geben, aber auch enorme Herausforderungen. Wir glauben oft, mit KI sei das Ende erreicht, aber das nächste große Kapitel ist schon geschrieben, und das werden Quantencomputer sein. Deren Auswirkungen auf Marketing und Kommunikation können wir heute nur erahnen.
Was macht deiner Meinung nach eine wirklich gute Werbekampagne aus?
Eine gute Kampagne ist immer ein Gesamtkonzept – sie vereint alle Instrumente der Marketingkommunikation und erzeugt gezielt Synergien über unterschiedliche Kanäle hinweg. Die zugrunde liegende Idee muss stark, überraschend und zur Zielgruppe und Marke passend sein. Außerdem muss sie sich über längere Zeit spielen lassen und in verschiedenen Formaten funktionieren, von Social Media bis Print. Die Fähigkeit, Inhalte kanal- und zielgruppengerecht aufzubereiten, ist entscheidend. Und am wichtigsten: Sie muss Menschen berühren, sich abheben und für Gesprächsstoff sorgen.
Wenn du auf all die Jahre zurückblickst: Gibt es eine Kampagne, auf die du besonders stolz bist?
Definitiv, die Honda-Kampagne Anfang der 1990er-Jahre war legendär. Wir hatten damals einen Hypnose-Spot im Fernsehen und Radio, der so ungewöhnlich war, dass er große Aufmerksamkeit erregt hat. Allerdings sind viele unserer schönsten Ideen leider nie erschienen, weil der Mut auf Kundenseite fehlte oder wir als Agentur zu schwach waren, sie durchzusetzen. Das ist schade, aber es zeigt auch: Herausragende Werbung braucht starke Köpfe auf beiden Seiten. Die meisten Menschen scheitern nicht daran, dass sie sich zu hohe Ziele gesetzt haben und diese nicht erreichen. Die meisten Menschen scheitern im Leben daran, dass sie sich zu geringe Ziele gesetzt haben und diese dann auch erreichen. Das heißt, sie sind relativ bald zufrieden. Dann ist dieser Spaß nicht mehr da. Daher an alle Jungen: Ihr habt die Welt in der Hand – gebt Gas, seid nicht feig. Das wäre der größte Wunsch den ich habe.
Wie hältst du selbst im Unternehmen über Jahrzehnte die Neugierde und Dynamik am Leben?
Gerade in den ersten Jahrzehnten ging das sehr gut – mit viel Kraft, Überzeugungsarbeit und auch persönlichem Einsatz. Mit der Zeit muss man aber lernen, loszulassen und Verantwortung abzugeben. Ich versuche, unser Team zu motivieren und Freiräume zu geben, denn Eigenverantwortung stärkt Kreativität und Engagement. Es ist wie bei Kindern: Wer die Leine zu kurz hält, verliert irgendwann den Kontakt. Vertrauen in die nächste Generation ist wichtig, damit der Hunger nach Erfolg und Innovation erhalten bleibt.
Du gehst offen mit deiner Krebsdiagnose um. Wie hat das deinen Blick auf Leben und Arbeit verändert?
Es hat mich davor bewahrt, mich von irgendwas aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich hatte die Diagnose Darmkrebs mit Metastasen, bin mehrfach operiert worden und bekomme seit Jahren Chemotherapie. Trotzdem habe ich beschlossen zu leben – und das ist für mich eine Frage der inneren Einstellung und Vision. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, nie die Hoffnung zu verlieren und sich selbst und anderen immer wieder Mut zu machen. Das Gleiche gilt übrigens auch für Unternehmen in Krisensituationen: Nach vorne schauen, den Kopf oben behalten und dranbleiben.
Mit „MedYouCate“ hast du ein Projekt ins Leben gerufen, das Gesundheit und Digitalisierung kombiniert. Was ist deine Motivation dahinter?
„MedYouCate“ ist entstanden, weil ich gesehen habe, wie wenig standardisiert sich auch Ärzte weltweit fortbilden. Wir bieten mit der Plattform ein „Netflix für Chirurgen“: Lehrreiche, didaktisch aufgearbeitete Operationsvideos, die junge Ärztinnen und Ärzte überall auf der Welt nutzen können. Die Vision dahinter ist, medizinisches Wissen dorthin zu bringen, wo es besonders gebraucht wird – auch in entlegene oder ärmere Regionen. Es geht also neben dem wirtschaftlichen auch stark um gesellschaftlichen Mehrwert. Am Ende des Tages ist das mein Beitrag, Leben zu verbessern – das motiviert mich sehr.
Zum Abschluss: Was ist die eine Eigenschaft, auf die du ehrlich stolz bist, die wir uns von dir abschauen könnten?
Ich bin stolz auf meine Menschenkenntnis und auf die Fähigkeit, Potenziale zu erkennen – sowohl in Projekten als auch bei Menschen. Es zahlt sich aus, seinem Instinkt zu vertrauen, denn oft weiß das eigene Bauchgefühl am besten, was richtig ist. Entscheidungen treffe ich meist sofort; Nachdenken macht vieles oft nur komplizierter. Außerdem glaube ich fest daran, dass jeder Mensch lernen kann, seine eigene Vision zu finden und ihr zu folgen. Das macht stark, gibt Halt und führt letztlich zum Erfolg.
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Rainer Reichl: „Wir scheitern, weil die Ziele zu niedrig sind, nicht zu hoch“